Eine Woche im Leben einer Pensions-Pflegekraft

Geschrieben von Kalalokki. Übersetzt von Cretacerus.
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Illustration von RitterCat.

Mein Psychiater hat mir dazu geraten, eine Woche lang ein Tagebuch zu führen, um meine Gedanken etwas zu sammeln. Ich bezweifle zwar, dass das 'was bringt, aber wie auch immer, einen Versuch ist's wert.


Tag 1

Heute kam ein kleiner Junge vorbei mit zwei männlichen Wieseniors, die er vermutlich irgendwo in einem Graben aufgelesen hat. Er war ziemlich aufgeregt, und quasselte ununterbrochen darüber, wie süß Wieseniors doch seien und was noch alles. Ich nahm mich fröhlich ihrer an, und verabschiedete mich mit einem Lächeln. Ich hatte nicht den Anstand, ihm zu sagen, dass die Wieseniors unterschiedliche Geschlechter haben müssen, um ein Ei zu produzieren, armes Kind. Später am selben Tag traf Frau Henderson ein, frisch aus dem Urlaub in Alola, um ihr, ich zitiere, „absolut liebenswertes Schnuggiputzi Snubbull“ abzuholen; das kleine Ding tat mir fast schon Leid, so wie es gezwungen wurde, diese lächerliche Fliege und den Hut zu tragen; die Frau erwürgte es fast, als sie zurückkam. Aber ich kann mich nicht beschweren, da ihr dreiwöchiger Ausflug mir gute Poké Dollar7600 einbrachte..


Tag 2

Ich kam heute Morgen etwas verspätet an, und das erste, was mir auffiel, war eine fuchsteufelswilde Frau Henderson, die vor der Tür auf mich lauerte. Ich öffnete meinen Mund zum morgendlichen Gruß, doch sie fiel mir ins Wort, kreischend und fast weinend zugleich. Es dauerte einen Moment, bis ich einige ihrer Worte ausmachen konnte, etwas mit „Katastrophe“ und „scheußlich“. Ich fing an, mich zu wundern, wo denn ihr kostbares Snubbull steckte, da zog sie einen Pokéball hervor und schickte, zu meiner großen Überraschung, ein Granbull heraus. Gleiche niedliche Fliege und Hut. Ich tat mein Bestes, mir ein Lachen zu verkneifen, während sie schilderte, wie sie ihrem Snubbull eine Leckerei aus Alola mitgebracht hatte, ein Sonderbonbon. Vermutlich hatte sie keinen Schimmer, welche Auswirkungen es haben könnte, und war überzeugt davon, dass ihr Snubbull noch weit weg war von dem Level, in dem es sich entwickeln könnte. Ich musste ihr erklären, dass das Level von Pokémon ansteigt, wenn sie in der Pension in Kalos sind, und dass sie dadurch neue Attacken lernen, im Gegensatz zu dem Pokémon-Hort in Alola. Anstelle ihres Snubbulls mit Charme, Rutenschlag und Schlecker hatte sie nun eben ein Granbull mit Raserei, Brüller, Knirscher und Wutanfall. Als ich anmerkte, dass wir in solchen Fällen keine Haftung übernehmen, stürmte sie davon und schwor, nie wieder zurückzukommen.


Tag 3

Der kleine Junge von neulich kam zurück, um seine Wieseniors abzuholen, und zu meiner Überraschung war er nicht wirklich enttäuscht darüber, dass ich kein Ei für ihn hatte. Stattdessen hatte er zwei neue Pokémon, die er mir übergab, ein männliches Magbrant und ein weibliches Pumpdjinn. Keinen Plan, was er sich diesmal dabei dachte, aber die beiden Pokémon waren ganz sicher nicht miteinander kompatibel. Er summte etwas in Richtung „Vater und Mutter legen zusammen ein Ei“ und hopste mit einem Lächeln davon. Wieder einmal sagte ich gar nichts, wahrscheinlich bin ich doch eine ziemlich schlechte Person.


Tag 4

Und es war wieder die Zeit in der Woche, in der das extrem ernste Kind mit dem leeren Blick vorbeikam. Wie immer sagte er nichts, er kam nur zum Tresen und platzierte ein schillerndes Ditto mit einer Art Garn darauf, zusammen mit einem weiblichen Glumanda in einem extravaganten schwarzen Ball, welches diesen glatt aussehenden Stein hielt. Er nickte mir zu, ging nach draußen und radelte davon. Dies ist der Teil, den ich an seinem Besuch hasse. Er fängt an, draußen so schnell wie möglich hin und her zu fahren, immerzu am Fenster vorbeirasend. Immer, wenn er das macht, reagieren seine Pokémon völlig abgedreht und gehen wie wilde Menki zur Sache, und legen schneller Eier, als ich sie einsammeln kann. Das heißt, ich muss hin und her hetzen zwischen dem Stall und der Eingangstür, wo er bereits wartet, um die Eier abzuholen. Er sammelt um die fünf Stück von mir, bevor er irgendwohin davonfliegt. Bei seiner Rückkehr ist er bereit, noch mehr Eier zu sammeln, und nach 26 Runden ist er für den Tag fertig und holt seine Pokémon ab. Ich bin bis heute nicht draus schlau geworden, was er mit all den Eiern macht, aber er zahlt gut, also kann ich mich nicht beschweren.


Tag 5

Zwei kichernde Schulmädchen kamen heute herein; ich wusste, dass dies nichts Gutes zu verheißen hatte. Sie zeigten mir je ein Pokémon, das sie abgeben wollten, ein weibliches Eneco und ein männliches Wailord. Ich seufzte laut, dieser Trend unter unverfrorenen kleinen Kindern ging mir langsam auf den Geist. Es geht dieses Gerücht um, wonach Eneco und Wailord dazu in der Lage seien, sich zu paaren und zusammen ein Ei zu produzieren, und jeder will sich dieser Herausforderung stellen. Wie sie überhaupt an ein Wailord kommen ist mir ein Rätsel, diese Pokémon leben weit draußen im offenen Ozean. Ich beschloss, das Treiben diesmal im Keim zu ersticken, seit dem letzten Mal hatte ich immer noch keine Zeit dafür gehabt, den Teich zu reinigen. Ich erklärte den Mädchen, dass wir leider nicht den nötigen Raum hätten, um ein Wailord unterzubringen, aber dass wir das Eneco mit Freude annehmen würden. Das Grinsen und Gekicher endete sofort, sie lehnten freundlicherweise ab und verließen die Pension enttäuscht. Meine Mutter hat mir einmal gesagt, ich soll Mädchen nie traurig machen, aber sie musste natürlich auch nie hinter einem Wailord aufräumen.


Tag 6

Der kleine Junge mit dem Magbrant und dem Pumpdjinn kam zurück, und diesmal wurde er langsam frustriert, als ich kein Ei für ihn hatte. Doch er war noch lange nicht fertig mit dem Versuch, ein Ei zu bekommen, oh nein, er wurde gerade erst warm. Er zog zwei Pokébälle hervor und schickte ein Mew und ein Arceus heraus. Ich war sprachlos. Dieses vielleicht acht Jahre alte Kind ist soeben mit dem Urahnen aller Pokémon und dem Schöpfer des Universums hereinspaziert, so als hätte er sie einfach so im Wald um die Ecke gefangen. Ich nahm sie beide ungläubig entgegen, und der Junge lief davon, bevor ich ihm überhaupt sagen konnte, dass niemand bisher legendäre Pokémon beim Brüten beobachtet hatte. Ich kann nur hoffen, dass Arceus nicht aus einer Laune heraus meine Pension aus der Existenz ausradiert.


Tag 7

Diese Woche verlief eigentlich ganz okay, bis der kleine Junge vom vorigen Tag heute nochmal vorbeischaute. Ich hab eine ganze Weile lang nicht nach dem Mew und Arceus gesehen, und erwartete auch nicht, dass sich irgendetwas Großartiges ereignete. Der Junge wollte die beiden Pokémon und ihr Ei abholen. „Natürlich, mein Kleiner“, sagte ich ihm mit einem unterdrückten Kichern, und ging nach hinten, um sie zu holen. Und da war es: zwischen Mew und Arceus lag ein Ei. Sie sahen beide etwas schüchtern aus, als wollten sie es vor mir verstecken. Ich tat mir in diesem Moment unglaublich schwer, die Situation mit meinem Verstand zu erfassen, der Urahn aller Pokémon und der Schöpfer des Universums hatten gerade ein Ei gelegt. Ich sammelte beide und das Ei ein, und übergab sie dem Jungen ohne ein weiteres Wort. Er nahm sie mit einem Grinsen an und verließ die Pension, während er irgendetwas summte. Während ich noch ernsthaft an meinem Verstand zweifelte, beschloss ich, endlich den Teich sauber zu machen, als ich etwas bemerkte. Da war ein kleines Loch im Zaun zwischen zwei Ställen, wo die Wieseniors und das Snubbull untergebracht waren. Und in dem Moment schwante es mir, das kleine Schnuggiputzi Snubbull musste ein Weibchen gewesen sein, und ein ziemlich abenteuerliches dazu. Ich will mir gar nicht vorstellen, was da an jenem Tag im Wiesenior-Stall ablief, aber es war ganz offenkundig rabiat genug, um das resultierende Ei so weit in die Büsche zu katapultieren, dass nur noch Mew oder Arceus dazu in der Lage waren, es zu finden. Ich werde dem Jungen einfach erklären, mit meiner besten ernsten Miene, dass ein Woohoo zwischen Mew und Arceus immer in einem Snubbull-Ei resultiert. Es ist ja nicht so, als ob er es besser wüsste. Vielleicht schieb ich ihm nächstes Mal ein Glumanda-Ei unter.

HTML von Kris.
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